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Auftakt zur Rollstuhl-Basketball-WM in Hamburg

Rollstuhlbasketball-WM
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Bald geht’s los. Endlich. Nur noch wenige Stunden bis in HH-Wilhelmsburg die sprichwörtliche Kuh fliegt, der Papst im Kettenhemd boxt bzw. ordentlich die Hütte brennt.  Am 16. August, um exakt 17.45 Uhr, bestreiten die deutschen Herren ihr Auftaktmatch bei der Rollstuhl-Basketball Heim-WM in Hamburg gegen die Equipe aus Marokko. Wie Rollt.-Redakteur und -Macher Martin Schenk die Rolltstuhl-Basketball-Nationalspieler bzw. Protagonisten in den letzten Jahren kennen und schätzen gelernt hat, verrät uns der 44-Jährige in seinem vierten und letzten Invacare-Blog.

Jetzt, liebe Leser, wird’s männlich: Insider-Portraits der deutschen Rollstuhl-Basketball-Nationalmannschaft

Tja, da sitze ich nun im Zug gen Hamburg und mache mir Gedanken über Jungs, die ich teilweise seit meinen rollstuhlbasketballerischen Anfängen begleite. Die Hansestadt im Norden der Republik, liebe Leser, ist übrigens nicht nur eine schöne und maritime Stadt, sondern auch ein Ort, den ich die letzten Monate öfters gesehen habe, als meine Ehefrau. Okay, das war ein bisschen übertrieben, aber irgendwie ist mir die Perle an Alster und Elbe ein bisschen ans Herz gewachsen, wie übrigens auch die Männer des Team Germany. Doch: Wo fang ich an bzw. mit welchem Athleten hör ich auf? Wie wär’s mit einem Spieler, der mich immer ein bisschen an mich erinnert:

Kai Möller

Kai Möller sieht schon stylish aus mit seiner ultrageilen Sport-Taucherbrille auf der Nase, die mich immer so ein bisschen an die Schutzbrille im Chemiebaukasten erinnert. Nette Eltern hat er übrigens auch, die ihren Sohn nicht nur anfeuern, sondern auch sämtliche Rekorde im Social-Media-Beiträge teilen. Sportlich hat es den Wandervogel, der u. a. schon in Kaiserslautern, Hamburg und Zwickau gespielt hat, nun nach Wetzlar verschlagen.

Was mich übrigens so an mich während meiner kurzen und minder erfolgreichen Basketballzeit denken lässt, ist der Abschluss unter des Gegners Korb. Entweder Kai zerstört in der Zone und punktet unter der Reuse wie ein Uhrwerk oder er verwirft einen einfachen Ball nach dem anderen, um heimlich an seiner Offensivrebound-Statistik zu arbeiten.

Es möllert zwischen Genie und Wahnsinn „in the paint“. Ich habe früher immer zu viel nachgedacht und mich nicht auf das Gelernte bzw. Antrainierte berufen, so dass ich stets die einfachsten 1:0-Korbleger – zur Freude der gegnerischen Fans und zum Leidwesen meines Trainers – versemmelt habe.

Aliaksandr Halouski

Anders tickt da die Mensch-Maschine aus Weißrussland: Aliaksandr „Alex“ Halouski. Was für ein Typ. Er ist die menschgewordene Bescheidenheit. Für manche Beobachter legt er dabei schon zu viel Bescheidenheit an den Tag, wenn er sich – wie so oft und mal wieder – mit der rechten Hand entschuldigend aufs Herz klopft. „Mein Fehler“ bzw. „My bad“ dringt es dann mit deutsch-russischem Akzent aus seinem Mund.

Er funktioniert wie ein Uhrwerk, stellt den Teamerfolg über alles andere und ist Nicolai Zeltingers Lebensversicherung im Kampf um den Rebound und die Beschäftigung der gegnerischen Abwehrreihen. Einmal im Jahr bekomm ich dann auch mein Interview von ihm. Während der Saison ist er zu konzentriert und fokussiert. Eine Einstellung, die ich respektiere. Dafür fallen die Begrüßungen umso herzlicher aus. Alex Halouski, die Gentleman-Maschine mit Benimm und Feuerkraft. Einfach ein geiler Typ.

Thomas Boehme

Ein feiner Kerl ist auch FCN-Fan und Mittelfranke Thomas Böhme, der von Lutz Leßmann, dem rührigen RSB Thuringia Bulls Manager, als einer der besten deutschen Spieler bezeichnet wird.

Thommy trainiert fleißig an der Wurfmaschine in Wetzlar, düst mit seinem S3 durch die Lande und ist mit einem langfristigen Vertrag beim RSV Lahn-Dill ausgestattet. Er ist der Go-to-Guy, der Spiele im Alleingang entscheiden und den Gegner schwindelig spielen kann. Beim Top4 der Junioren in Hamburg wurde sein Name am häufigsten von den Nachwuchsspielern genannt, wenn sie nach dem Top-Spieler der WM bzw. ihrem Vorbild gefragt wurden. Thomas Böhme, Rollstuhlbasketball-Millionär, bodenständig und ein echtes Vorbild für den Nachwuchs.

Frank Oehme

Frank Oehme, von mir mal als eine Art „Unsichtbarer“ beschrieben, ist so laut und aufbrausend wie die Wasserbewegungen in einem Altarm der Mulde in Zwickau. Das mag nur der äußere Eindruck sein, kann ich doch weder einen Blick ins Training, noch ins Hotelzimmer werfen. Mit seiner Rolle im Team Germany geht er mustergültig um, bevor er auf Minuten kommt, sind meist Chris Huber und Phillip Schorp an der Reihe. Aber genau das zeichnet Menschen mit Charakter aus.

Während andere hadern und über Gott und die Welt klagen, nimmt er aktiv seine Rolle an und trainiert und arbeitet weiter. In Rollt. #16 schrieb ich damals: „Der Zwickauer Kapitän Frank Oehme ist nicht nur auf dem Court ein klassischer Lowpointer, sondern auch außerhalb der Sporthalle. Ruhig, lautlos und nahezu unsichtbar rollt er durchs Leben.

Ob als SAP-Berater, Spielgestalter oder Sealer. Der aus Pirna stammende Korbjäger erledigt seinen Job gewissenhaft und besonnen.“ Genau das ist es, was den 1,0-Punkte-Mann auszeichnet: Er macht seinen Job.

Jan Haller

Kapitän der Mannschaft ist Jan Haller. Der Love-Story-Held unserer ersten Rollt.-Ausgabe, hat es nach Jahren an der Lahn, zurück in die alte Heimat an die Leine gezogen. In Hannover will der 2,0-Punkte-Mann zusammen mit seinem ehemaligen RSV-Mitspieler Joe Bestwick dem Gegner das Fürchten lernen und unter dem Co-Trainer des Team Germany, Martin Kluck, den nächsten Entwicklungsschritt vollziehen bzw. die jungen Wilden an die Hand nehmen. Wenn mich Jans Bruder nicht gerade in fremder Halle in Köln für den DJ hält, muss ich vor allem an seine Rollt.-Kolumne „Hall(er) of fame“ denken, die irgendwann mal eingeschlafen ist. Warum nur? Vielleicht sollten wir sie wieder reaktivieren. Schließlich hat der ehemalige Geschäftsstellen-Chef aus Wetzlar mit Sicherheit ein bisschen was zu erzählen.

Jan Gans

Über Jan Gans wusste ich lange Zeit nichts. Eher durch Zufall stieß ich Ende 2015/Anfang 2016 auf seinen Namen, war seine Schwester doch Trainerin bei den Mainhatten Skywheelers und er in Amerika bei den Movin Mavs der University of Texas in Arlington unterwegs. Heute noch schmunzeln muss ich über das erste Interview mit ihm anno Februar 2016.

Auf die Frage zum Thema Nationalmannschaft antwortete er damals: „Nach dem Duden ist eine Nationalmannschaft eine Auswahl der in einer Sportart besten Sportler eines Landes für internationale Wettkämpfe. Die Auswahl und Selektion der Nationalspieler ist die Aufgabe des Nationaltrainers und seines Trainerteams. Nach welchen Maßgaben die Spieler bestimmt werden, ist mir nicht bekannt.“ Ein kleiner Seitenhieb auf Bundestrainer Nicolai Zeltinger, der „Goose“ in den USA entweder vergessen oder übersehen hatte, oder ihn einfach nicht wollte. Heute sieht das gänzlich anders aus, gehört der Neu-Wetzlarer doch zum festen Kader der Nationalmannschaft.

Nico Dreimüller

Ein kleiner Professor ist Nico Dreimüller. Gebildet, smart und von Mama und Papa mit einer guten Kinderstube bedacht, gehört ihm die Zukunft im Team Germany. Unter Dauerstress stehend, managt der gebürtige Frankfurter sein Leben zwischen Sporthalle, Wohnung und Studentenleben. Er wäre für mich ein idealer Kandidat für das Projekt „Vereinbarkeit von Leistungssport und Beruf bzw. Studium“. Was wäre er (noch mehr) im Stande zu leisten, wenn er sich voll dem Rollstuhlbasketball – bei gleichzeitiger finanzieller Unabhängigkeit – widmen könnte? Der Lahn-Dill-Mann hat sich, so meine Meinung, in den letzten Monaten – trotz seines jungen Alters – zu einer wichtigen und verlässlichen Stütze in Mittelhessen und im Deutschland-Jersey entwickelt. Eine Tendenz, die hoffentlich weiter anhält.

Jan Bienek

Das HB-Männchen des Teams ist André Bienek. Vollblut-Sportler, Gas-Geber und mit dem schönsten Regenbogen-Wurf der ganzen Szene ausgestattet, treibt er seine Kollegen – von der Bank oder auf dem Feld – fortwährend an. Als Anpeitscher und Motivator ist er für mich persönlich einer der wichtigsten Eckpfeiler im Team. Der Glue-Guy, der verbindet, antreibt und sich auch zurücknimmt, wenn es sein muss. Sein Auge und seine Zucker-Anspiele auf die Teamkameraden, machen ihn zu einem wichtigen Faktor im Spiel der Nationalmannschaft. In Rollt. #16 schrieb ich einst: „Der Besser-Macher. Es gibt diesen Typ Mensch, dem andere unaufgefordert folgen und zuhören, weil sie Vertrauen und Stärke ausstrahlen und Gefühle zeigen. Ein solcher Leader ist Andre Bienek. Anführer, Vorbild, Botschafter und einer der weltbesten Guards.“ Wenn jemand das Potenzial hat, die WM zu seiner WM zu machen, dann Bienek.

Christopher Huber

Wenn Christopher Huber mit Teamkamerad Thomas Böhme nicht gerade zu spät zum verabredeten Treffpunkt kommt, versucht sich der strategisch denkende Lowpointer als hessischer (Aushilfs-)Landestrainer. Der 22-Jährige gibt schon früh seine reichlich gesammelte Erfahrung an noch jüngere Sportler weiter. Mehr als ehrenwert. So war der gebürtige Gießener bereits U22-Europameister, U23-Weltmeister, Champions-League-Sieger sowie zigfacher Meister und Pokalsieger mit dem RSV Lahn-Dill. Huber hat schon mehr Siegersekt versprüht, als ihn ordentlich –  im Glas serviert – zum Munde zu führen. „Chris Huber ist der Denker unter den hiesigen Lowpointern. Er antizipiert und beobachtet das Spiel und den Court, statt, wie andere Athleten, einfach wild drauf loszurollen oder ohne mitzudenken, aus dem vom Coach angesagten System auszubrechen. Der 1,0-Punkte-Mann ist nicht nur smart und intelligent, sondern ein echter Stratege auf und neben dem Platz“, ließ ich es in der Rollt. verlautbaren, um ihm abschließend ein gewisses „Krieger-Gen“ zu attestieren.

Phillip Schorp

Jüngst fragte ich Phillip Schorp, den dritten 1,0-Punkte-Mann im Kader, wie wichtig der Basketball in seinem Leben ist bzw. welchen Platz dieser einnimmt. Woraufhin der gebürtige Marburger wie folgt antwortete: „Rollstuhlbasketball ist natürlich ein enorm wichtiger Bestandteil in meinem Leben. Ich gehe ein bis zweimal täglich trainieren und merke, wenn ich mal einen Tag keinen Sport gemacht habe bzw. keinen Ball in der Hand hatte. Mir fehlt dann etwas und ich bin nicht ausgelastet.“ Sehr interessant. Viel genialer fand ich jedoch seine Aussage, „dass Menschen oder frisch Verunfallte einfach das machen sollen, was ihnen Spaß und Freude macht.“ Dies, so meine Meinung, spricht nicht nur für den jungen Mann, sondern sagt auch viel über seine Denk- und Handelsweise aus. Eine persönliche Philosophie, die ihn als Sportler und Mensch noch weit tragen kann.

Jan Sadler

Ein weiteres Mitglied der goldenen Riege der U23-Weltmeister des Jahres 2013 ist Jan Sadler. Absoluter Leistungsträger bei Hannover United mit großem „Sniper-Potenzial“. Wenn er nicht gerade wieder Opfer einer Instagram-Story seiner rollenden Kollegen wird, liefert die Nummer 11 im Dress des Team Germany „eher unauffällig“ und unspektakulär seine Leistung ab. Unauffällig und unspektakulär ist dabei nicht gleichzusetzen mit „schlecht“, sondern mit routiniert, solide und zuverlässig. So spontan fällt mir da keine übermäßig emotionale Reaktion eines Jan Sadler ein, die mir dauerhaft in Erinnerung geblieben wäre. Oder ich habe mal wieder nicht richtig hingeschaut – was gelegentlich vorkommt. Der Hannoveraner ist eher der Typ „Schwiegersohn“, hier mal ein netter Spruch auf den Lippen, dort mal kurz zum „Pferde stehlen gehen“ und dann wiederum ganz ruhig.

Matthias Güntner

Monster Matthias Güntner steht absolut zurecht im Nationalkader. Der Fels in der Brandung im Spiel der Rhine River Rhinos liefert in der RBBL dauerhaft eine gute Leistung ab. Er läuft und läuft wie ein VW Käfer. Ausgestattet mit der nötigen Physis, einem enorm treffsicheren Wurf in der Zone sowie einem hervorragendem Reboundverhalten, ist er schon jetzt eine abgezockte Socke, die keine Angst vor großen Namen hat. Güntner erstarrt nicht vor Routiniers und erfahrenen Recken, das fördert sein sportliches Wachstum. Sich im Training an einem Halouski und einem Gans zu reiben, machen ihn ebenfalls besser. Ihm gehört die Zukunft in der Liga und in der Nationalmannschaft.

Trainer Nicolai Zeltinger

Trainer Martin Kluck

Auch zu den Trainern Nicolai Zeltinger und Martin Kluck muss ich natürlich ein paar Worte verlieren. Böse Zungen spüren eine „geballte Ämterhäufung“, wenn sie die Namen der beiden hören. Andere wiederum sehen in dem Duo zwei wichtige Wegbereiter, die in der Vergangenheit und der Gegenwart alles gegeben haben und geben, um den Sport zu pushen. Ich bewege mich da eher in der zweiten Kaste. Solange es keine anderen gibt, die Gas geben, um sich für solche oder andere Ämter zu empfehlen, sitzen beide fest im Sattel. Man(n) muss mit dem Duett weder an der Hotelbar einen trinken, noch mit ihnen in den Urlaub fliegen, aber ihr Einsatz sollte respektiert und geschätzt werden. Über die sportliche Kompetenz sollen und dürfen sich indes gerne diejenigen auslassen, die selbst einmal im Sportrolli gesessen haben oder diesen Sport ausüben. Beide könnten, so meine Sichtweise, auch in den diplomatischen Dienst eintreten, wissen Kluck und Zeltinger doch unisono, wie man sich diplomatisch, und politisch korrekt ausdrückt. Während andere Coaches das Herz auf der Zunge tragen und mit Jogginghose oder im „Casual-Style“ durch die Halle toben, sind Zeltinger und Kluck mit ihren weißen Hemden und Sakkos eher die Konfirmanden unter den Trainern.

Beiden, wie dem gesamten Team, drücke ich natürlich ganz fest die Daumen, dass sie es – mit den Fans im Rücken – möglichst weit im Turnier schaffen.

Autor: Martin Schenk, www.rollt-magazin.de

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Fotos: Uli Gasper